Was ist Tradition? – Wurzeln, Wandel und die leisen Linien dazwischen
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In der Adventzeit wird vieles leiser – zumindest in der Sehnsucht danach. Während draußen Lichter aufscheinen und sich die Tage nach Ruhe anfühlen wollen, erleben viele von uns genau das Gegenteil: Termine, Vorbereitungen, Erwartungen. Und doch liegt unter all dem eine stille Einladung. Innehalten. Spüren. Erinnern.
Tradition tritt gerade jetzt besonders deutlich in unser Leben. Oft ganz unscheinbar. In kleinen Gesten, vertrauten Abläufen, in Düften und Geschmäckern, die uns augenblicklich zurückführen.
Woher kommt Tradition?
Das Wort Tradition stammt vom lateinischen traditio – Weitergabe, Übergabe, Anvertrauen. Etwas wird von einer Generation zur nächsten gereicht, nicht als Pflicht, sondern als Gabe.
Tradition ist damit eine Form von Übersetzung: Vergangenes wird in die Gegenwart getragen. Nicht unverändert, sondern lebendig. Sie verbindet Zeiten miteinander – und Menschen.
Advent, Erinnerung und Geborgenheit
Gerade zur Weihnachtszeit spüren wir diese Verbindung besonders stark. Vielleicht ist es ein altes Keksrezept, das jedes Jahr hervorgeholt wird. Vielleicht ein bestimmtes Gericht, das genauso schmeckt wie damals bei der Oma. Vielleicht sind es Rituale, die in jeder Familie anders aussehen – und doch immer wiederkehren.
Diese Wiederholung schenkt Sicherheit. Sie erinnert uns an unsere Wurzeln, an Zugehörigkeit, an das Gefühl von Geborgenheit. Auch wenn sich das Leben verändert, bleibt etwas Vertrautes bestehen.
Und doch ist kein Weihnachten wie das andere. Auch wenn wir Ähnliches tun, tun wir es jedes Mal mit anderen Augen, in einer anderen Lebensphase, mit neuen Erfahrungen im Herzen.
Wenn Tradition schwer wird
Nicht jede Tradition fühlt sich leicht an. Manche tragen alte Muster in sich, Erwartungen oder Verletzungen, die wir vielleicht unbewusst mittragen. In solchen Momenten darf die Frage auftauchen:
Was davon nährt mich – und was darf sich verändern?
Tradition wird dann schwer, wenn sie starr wird. Wenn sie keinen Raum mehr lässt für Entwicklung, für neue Wege, für ein ehrliches Spüren.
Tradition darf sich wandeln
Tradition bedeutet nicht Stillstand. Sie ist kein Festhalten um jeden Preis. Sie darf sich bewegen, so wie wir uns bewegen. Wir dürfen entscheiden, was wir bewahren möchten – und was wir neu gestalten.
Vielleicht entsteht genau darin eine neue Form von Tradition: eine bewusste. Eine, die sich gut anfühlt. Eine, die uns trägt, statt uns festzuhalten.
Meine Kunst in dieser Zeit
Diese leisen Fragen begleiten auch meine künstlerische Arbeit.
Wenn ich Frauen in Tracht zeichne oder male, geht es mir nicht um Folklore oder um das bloße Abbild von Tradition. Es geht um das, was darunter liegt: Herkunft, Verbindung, gelebte Geschichte. Um das, was weitergegeben wurde – sichtbar und unsichtbar.
Die Frauen in meinen Bildern stehen still und sind doch in Bewegung. Sie tragen ihre Wurzeln in sich und blicken gleichzeitig in die Weite. Für mich sind sie ein Sinnbild dafür, wie Tradition heute gelebt werden darf: bewusst, sanft und kraftvoll zugleich.
Eine Einladung zur Adventzeit
Vielleicht ist diese Zeit vor Weihnachten genau der richtige Moment, um den eigenen Traditionen neu zu begegnen.
Nicht im Tun, sondern im Spüren. Nicht im Perfektionieren, sondern im Wahrnehmen.
Was bedeutet Tradition für mich – heute? Was möchte ich in diesem Jahr ganz bewusst leben?
Wenn wir uns erlauben, langsamer zu werden, kann Tradition wieder das werden, was sie im Kern ist: eine stille Verbindung. Zu uns selbst. Zu unseren Wurzeln. Und zu dem, was wir weitertragen möchten.
Ich wünsche dir eine Adventzeit, in der genau dafür Raum entstehen darf.



